Sie geben ihren Traum nicht auf – konkretisieren können sie ihn aber auch nicht: Seit die einzige je vollendete Antonow An-225 Ende Februar 2022 auf ihrem Heimatflughafen Kiew-Hostomel bei Kämpfen zwischen russischer und ukrainischer Armee zerstört wurde, sprechen namhafte Vertreter der Ukraine immer wieder davon, man werde das riesige Einzelstück eines Tages wieder aufbauen. Am Rande des NATO-Gipfels in Washington D.C. erneuerte David Lomjaria, Aufsichtsratschef des staatlichen Rüstungskonzerns Ukroboronprom, nun dieses kühne Vorhaben.
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Volodymyr Tarasov / Ukrinform/Future Publishing via Getty Images
Die An-225 "Mrija" war das fliegende Aushängeschild der Ukraine. Am 27. Februar 2022 wurde sie in Hostomel zerstört.
Pläne für die "Mrija 2.0"
Er könne "bestätigen, dass es dafür Pläne gibt", so Lomjaria in Washington gemäß der Nachrichtenagentur Ukrinform. Es bleibe das erklärte Ziel seines Unternehmens, "dieses Flugzeug wieder aufzubauen und der Welt zu zeigen, dass die Ukraine in der Lage ist, diesen in der Schwertransportindustrie legendären Frachter nachzubauen." Auf Zeitpläne, Budgetrahmen, Bedingungen und technische Details zum Bau einer "Mrija 2.0" könne er aber nicht weiter eingehen, schränkte der Aufsichtsratschef ein. Substantiell Neues zum Stand des Projekts förderten die Ausführungen Lomjarias mithin nicht zutage.
Antonov Airlines
Pläne, die einzigartige An-225 wiederaufzubauen, gibt es in der Ukraine schon lange. Aber das Land hat andere Probleme...
Wie steht es jetzt um die An-225?
Damit reiht der Ukroboronprom-Mann sich ein in die Reihe jener Exponenten, deren Aussagen zum Aufbau einer neuen An-225 zu hohen Prozentsätzen auf Pathos und Wunschdenken fußen, aber kaum eine belastbare Grundlage für seriöse Analysen bieten. "Auferstanden" ist die Riesen-Antonow bis jetzt nur virtuell, im Microsoft Flight Simulator. Und in Kiew bekommt die An-225 im Stadtteil Swjatoschyn ihre eigene Straße. Ansonsten haben Antonow-Mitarbeiter in Hostomel zwar das Wrack der alten "Mrija" auseinandergenommen und Teile, die man noch gebrauchen kann, abmontiert. Ob aber wirklich konkret am Neuaufbau des Flugzeugs gearbeitet wird, und sei es auch nur theoretisch, bleibt weiter unklar.
Die unfertige zweite "Mrija"
Klar scheint lediglich, dass als Grundlage für das Projekt die halbfertige Zelle einer zweiten An-225 herhalten soll, die seit den 1990er-Jahren im Antonow-Werk Kiew-Swjatoschyn schlummert. Auch ausgebaute Teile der zerstörten "Mrija", so der Spitzname des Riesenflugzeugs, könnten für die Auferstehung genutzt werden. Als veranschlagte Kosten nannte Antonow im November 2022 eine Mindestsumme von 500 Millionen Euro, nachdem die Regierung in Kiew zunächst üppige drei Milliarden Euro veranschlagt hatte. Die tatsächlichen Kosten dürften irgendwo dazwischen liegen – und wären in jedem Fall zu hoch, als dass die Ukraine sie alleine schultern könnte.
Doch selbst unter günstigen Umständen, etwa wenn der Krieg in der Ukraine demnächst enden sollte und finanzstarke Unterstützer weltweit den Ukrainern beim Aufbau einer "Mrija 2.0" unter die Arme greifen würden: bei Lichte betrachtet scheint es schwer vorstellbar, dass sich dieser Traum wirklich erfüllt. Und zwar gleich aus mehreren Gründen.
Andere Prioritäten
Dass die Ukraine offiziell seit langer Zeit als eines der korruptesten Länder Europas gilt, internationale Investoren also genau prüfen müssten, ob ihr Geld tatsächlich dort ankommt, wo es soll, dürfte objektiv fast noch das kleinste Hindernis sein. Allem voran wird die Ukraine nach Kriegsende auf absehbare Zeit andere Probleme haben, als ein einzelnes Flugzeug wiederherzustellen – selbst wenn dieses Flugzeug ein ukrainisches Nationalsymbol ist. Schließlich gilt es, ein von Zerstörung gezeichnetes Land wiederaufzubauen, Häuser, Wohnungen, Infrastruktur instand zu setzen, den Menschen im Land ein vergleichsweise "normales" und geregeltes Leben zu gewährleisten. Eine neue "Mrija" müsste da wohl ziemlich weit hinten anstehen – auch wenn es aus Sicht des Luftfahrtunternehmens Antonow natürlich legitim ist, sich primär mit einem solchen Projekt zu beschäftigen.
Unvollendete Gigantin: Das ist die zweite An-225
Antonow
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Antonow hat seit 2015 kein Flugzeug vollendet
Allerdings ist es ohnehin fraglich, wie es mit Antonow in Zukunft weitergehen wird. Immerhin hat der Flugzeughersteller nicht erst seit Kriegsbeginn, sondern seit nunmehr fast neun Jahren kein komplettes Flugzeug mehr hergestellt. Die letzte werksneue Maschine, eine An-158, wurde im April 2015 an Kubas staatliche Fluggesellschaft Cubana ausgeliefert. Seither befinden sich zwar mehrere Exemplare der Typen An-148, An-158 und An-178 in unterschiedlichen Produktionsstadien – vollendet hat Antonow davon jedoch bis Kriegsbeginn kein einziges. Das lag nicht zuletzt am bereits 2014 erfolgten Bruch mit Russland, das bei den genannten Mustern als Projektpartner mit im Boot saß und zahlreiche Komponenten lieferte. Eine 2018 mit Boeing vereinbarte Kooperation sollte diesen Verlust ausgleichen, führte bis dato aber nicht zu weiteren Auslieferungen. Selbst in der Ukraine melden sich daher die Stimmen, die eine Zukunft für Antonow weniger im Bau eigener Flugzeuge, als vielmehr in der Rolle eines Teilezulieferers für ausländische Flugzeughersteller sehen.
Vasiliy Koba (CC BY-SA 4.0)
Die An-225 war in der UdSSR zum Transport der Raumfähre "Buran" entwickelt worden. Später wurde sie als Frachter "zweckentfremdet".
Die "Mrija" rentiert sich nicht
Auch die An-225 war einst kein rein ukrainisches, sondern ein gesamtsowjetisches Projekt. Komponenten dafür wurden in den 80er-Jahren unter anderem in Kiew und Saporischschja, aber auch in Uljanowsk, Moskau, Woronesch und Nischni Nowgorod (Russland) sowie in Taschkent (Usbekistan) gefertigt. Dass damals, beim Bau der "Mrija", Aspekte wie Nachhaltigkeit und Effizienz, die heute im Fokus stehen, eine eher untergeordnete Rolle spielten, ist kein Geheimnis. Das Flugzeug sollte nur einen Zweck erfüllen: die Raumfähre "Buran" huckepack zu nehmen.
Es ist also, abseits aller Nostalgie, eine berechtigte Frage, inwiefern es Sinn ergibt, einer fast 40 Jahre alten Konstruktion neues Leben einzuhauchen – zumal Antonow selbst noch vor gut zwei Jahren wirtschaftliche Argumente ins Feld führte, die gegen die Fertigstellung einer zweiten An-225 sprächen. Der Markt brauche ein solches Flugzeug schlichtweg nicht, die Kosten für den Bau einer zweiten Maschine könne diese im Betrieb nie wieder hereinholen, konstatierte der damalige Generaldirektor Oleksandr Donets seinerzeit sinngemäß.
Neue Teile, neue Fragen
Zwar führten die heutigen Antonow-Verantwortlichen seit Mitte 2022 immer wieder ins Feld, dass die "neue" An-225 selbstredend an die heute gängigen technischen Standards angepasst werden solle – das allerdings wirft unterm Strich nur noch mehr Fragen auf. Angefangen bei vermutlich notwendigen neuen Triebwerken (die wiederum nur aus dem Westen stammen können), über neue Avionik, die damit einhergehende Umgestaltung des antiquierten Sechsmann-co*ckpits, bis hin zu rechtlichen Angelegenheiten, etwa was die Zulassung betrifft. Letztere wäre zudem mit weiterem finanziellem Aufwand verbunden. Und das alles für ein einziges Flugzeug, das rational betrachtet niemand wirklich braucht?
Patrick Zwerger
Die An-124 "Ruslan" ist das Arbeitspferd für sperrige Luftfracht - zivil wie militärisch. Ein Nachfolgemuster wäre keine schlechte Idee.
Wie wär's mit einem "Ruslan"-Nachfolger?
Diese Unklarheiten vor Augen, wäre es für Antonow womöglich zielführender, bereits jetzt mit den Planungsarbeiten für einen Nachfolger der kleineren "Mrija"-Schwester An-124 "Ruslan" zu starten. Denn dieses Muster besitzt zwar weniger Symbolkraft, jedoch für den globalen Frachtsektor – und auch für militärische Transporte – eine weitaus höhere Relevanz als die An-225. Allerdings liegt etwa das Durchschnittsalter der von Antonov Airlines betriebenen An-124-Flotte bei stolzen 33 Jahren. Hier besteht über kurz oder lang also dringender Handlungsbedarf. Schließlich zeichnet sich bisher am Horizont noch kein Flugzeugmuster ab, das bei altersbedingtem Ausfall der "Ruslan"-Flotte einmal den Stab übernehmen könnte – abgesehen vom russischen Projekt "Elephant", das seit geraumer Zeit im Windkanal untersucht wird.
Fazit
Technisch möglich wäre es. Wirtschaftlich sinnvoll nicht. Und zulassungstechnisch zumindest fraglich. In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Frage nach dem Aufbau einer "Mirja 2.0". Abgesehen davon, dass Projekte dieser Größenordnung sowieso erst nach Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine wirklich vorankommen können, ist aus mehreren Gründen Skepsis angebracht, dass der Traum, die An-225 auferstehen zu lassen, Wirklichkeit wird. Aus emotionaler Perspektive wäre es wundervoll, keine Frage. Doch die Zweifel überwiegen. Vernünftiger wäre es wohl, Vergangenes ruhen zu lassen – und stattdessen die Zukunft anzugehen.
Redakteur
Hat schon als Knirps so oft es ging am Airport Kerosin geschnüffelt und die Nase durch den Flughafenzaun gedrückt. Seitdem nie ganz losgekommen von der Fliegerei - trotzdem nicht im co*ckpit gelandet, sondern beim Journalismus. Dass aus dieser Kombination am Ende ein ernsthafter Beruf herausspringt, hätte er aber auch nicht gedacht.
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